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Der rote Faden

Bis 15. September 2024 ● Düsseldorf ● KIT - Kunst im Tunnel

Der Titel „Der rote Faden – Follow the Thread“ zeigt in doppelter Hinsicht, worum es in dieser Ausstellung geht. Wörtlich können wir dem Faden folgen, auf den jedes Werk in diesem Raum aufgebaut ist: Wolle, Stickgarne, Acrylfäden, Teppichgrund und Markisenstoff haben die Künstler:innen verwendet, um ihre Bilder in Handarbeit und mithilfe verschiedener Techniken und chemischer Mittel zu erschaffen. Dabei liegt der Fokus auf der materiellen Beschaffenheit und der Formensprache der Werke, die aus Natur, Kultur und Tradition geschöpft werden.
Auf einer anderen Ebene ist der „rote Faden“ ein Begriff, mit dem wir Orientierung verbinden.
Etwas, das die Dinge im Äußeren und Inneren zusammenhält, dem wir folgen können, dass uns Kraft gibt. In dieser Ausstellung ist er ein Leitmotiv, und die vier Künstler:innen laden uns ein, bei der Betrachtung ihrer Arbeiten beide Ebenen zu verbinden. Das kann durch Anschauen geschehen, aber auch durch aktive Teilnahme am Schaffensprozess. Einige der eingeladenen Künstler:innen arbeiten zusätzlich performativ.

Bei ihrer Recherche, initiiert nicht zuletzt durch ihre familiären kulturhistorischen Verbindungen zur Ukraine, stieß die Kuratorin Jessica Gilles auf zeitgenössische Künstler:innen, die sich intensiv mit den historischen und soziologischen Hintergründen der textilen Kunst auseinandersetzen und diese zeitbasiert umsetzen. Die kulturellen Wurzeln der Künstler:innen sind hierbei von Relevanz – Erinnerungen, Erfahrungen, Verletzungen und Hoffnung sind Teil des Arbeitsprozesses und entfalten als vollendetes Werk ihre Wirkung auf die Betrachter:innen.

Die Künstler:innen, die für „Der rote Faden“ neue textile Werke geschaffen haben, sind sich dieser historischen Vorbilder bewusst. Daraus ergibt sich auch, dass sie mit einem Jetzt zurechtkommen müssen, in dem Kriege, Klimaerwärmung und Demografie die Aussicht auf die Zukunft trüben. Viki Berg, Erik Mikaia, Hyunjin Kim und Sofía Magdits Espinoza setzen dem mit ihren Bildern und Installationen die Kraft der Hoffnung und Schönheit entgegen. In dieser Schönheit sind durchaus gegensätzliche Botschaften enthalten: Wenn wir hinschauen, erkennen wir, dass die Bildräume spirituell aufgeladen sind, sehen wir Blutstropfen und gebrochene Herzen, aber wir finden auch den Glauben an die Natur, an die Gemeinschaft und die Kunst.

Beim Eintreten in den Ausstellungsraum stehen wir am Ufer eines Perlenmeeres. Sofía Magdits Espinoza weist auf Umweltkatastrophen mit schwarzen und weißen Perlen hin. Handelsleute im 16. Jahrhundert nutzten Perlen als Tausch- und Zahlungsmittel auf Seerouten, sie wurden von Hand zu Hand gereicht, mit ihnen wurden Geschichten weitergetragen. Dieses erzählende Moment finden wir in Espinozas Arbeiten wieder und können aktiv daran teilnehmen. Die Künstlerin lädt uns ein, selbst Perlen zu fädeln, denn „das Textile umarmt uns die ganze Zeit“. (Sofía M. E.) 
Die beiden Arbeiten Cielo II und Cielo III, die zum Projekt Nos vemos en el cosmos (Wir sehen uns wieder im Kosmos) gehören, wurden mit Besucher:innen während vorheriger Ausstellungen gemeinschaftlich gewebt. Bei diesem partizipativen Prozess werden Geschichten geteilt, Emotionen bekundet. Gefühle und Erinnerungen treffen aufeinander, alles webt sich ein in das Werk. Im KIT wird während der Ausstellung ein neues Himmelzelt gewebt: Wir können am Webrahmen Platz nehmen und unsere persönliche Spur hinterlassen.

Im Gang treten wir ein in Viki Bergs Herbarium. Wir sehen hier keine getrockneten, auf Papier gepressten Pflanzen, wie es klassischerweise wäre, sondern von der Künstlerin aus Acrylgarn getuftete Blüten und Fantasiegewächse. Mit ihren Flowers und Monster Flowers öffnet uns Berg die Türen zu ihrer Heimat, der Ukraine, denn das Florale hat dort eine große Bedeutung. 

Unter dem Fenster im Hauptraum finden wir uns wieder im Monster Garden der Künstlerin. Es ist ein sehr persönlicher Garten, in den sie uns einlädt. Hier dürfen wir ihr Inneres erkunden, uns umsehen und verweilen. Über diese intime Verbindung werden wir angeregt, über unsere eigenen „Monster“ nachzudenken, denn Viki Bergs Blumen stehen für das Unterbewusstsein, mit all seinen Emotionen und Ängsten. Die ungewöhnlichen Formen ihrer Pflanzenwelt spiegeln das Unbewusste in uns, vor dem wir uns manchmal fürchten und das trotzdem zu uns gehört. 

Die farbigen Leinwände von Hyunjin Kim sehen von Weitem aus wie Malereien, aber dieser erste Blick trügt. Die Künstlerin nutzt farbiges Garn statt angemischter Pigmente, den Pinsel ersetzte sie durch die Nadel. Auf weißer Leinwand wirken die gestickten Fäden dennoch wie intensive Pinselstriche, Hyunjin Kim malt sozusagen mit jedem Stich. 
Ihre Motive findet Hyunjin Kim im Alltag, wo sie mit der Handykamera interessante Situationen festhält. Bei Soothing Life sehen wir kleine Meeresfische, die sich durch Algen und Korallen schlängeln. Im Gegensatz zu den anderen Arbeiten kann bei diesem „Aquarium“ die Leinwand von beiden Seiten betrachtet werden: Eine Vielzahl von bunten, langen und kurzen, herunterhängenden Fäden setzt sich hier zu einer eigenständigen abstrakten Komposition zusammen.

Sowohl in seinen kleinen als auch in seinen raumgreifenden Arbeiten lässt Erik Mikaias sich  auf das experimentelle Spiel mit Stoff und Bleiche ein. Ursprünglich aus der Malerei kommend, entwickelte der Künstler einen eigenen Zugang zum Medium Farbe. Anstatt in der klassisch vorgegebenen Reihenfolge zu arbeiten – Farbpigmente mit Bindemittel anzumischen und auf die Leinwand mit Pinsel oder Spachtel aufzutragen –, arbeitet Erik genau entgegengesetzt, er entzieht bereits gefärbten Stoffen die Farbe. Chemische Prozesse spielen sich ab, deren Endergebnis teils unkontrollierbar ist, denn die Bleiche agiert wie ein Akteur, der mit spontanen Gesten überrascht. Fehler können nicht mehr ausgebessert werden. Jede Falte und jeder Handgriff ist im Stoff verewigt. 

In einem Stoff hinterlassen nicht nur Farbe und Bleiche Spuren. Auch nicht Greifbares bleibt in ihm haften. Leermenge ist ursprünglich eine Markise gewesen, die 20 Jahre lang den Gästen einer Gastronomie als Schutz vor Witterung diente. Weder der Künstler noch wir wissen, was die Markise „erlebt“ hat. Wir können ahnen, dass sich das Textil über die Jahre mit Gelächter, Tränen und Erinnerungen aufgeladen hat. Wie Geister breiten sich diese Emotionen nun im KIT aus, sie begleiten uns, flüstern uns zu, was sie erlebt haben.

kunst-im-tunnel.de

Bildunterschriften und /-nachweise:

1. Erik Mikaia, Ohne Titel, 2024
Jeweils 1300 x 500 cm
Baumwolle, Bleiche, LED-Licht
Foto: Ivo Faber

2. Hyunjin Kim
That Afternoon, 2024
180 x 150 cm
Acrylgarn auf Leinwand
Courtesy of Hyunjin Kim & JVDW Gallery

3. Hyunjin Kim, Soothing Life, 2024
200 x 190 cm
Acrylgarn auf Leinwand, Staffelei
Foto: Ivo Faber

4. Viki Berg, Monster Garden, 2024
Maße variabel
Getuftetes Acrylgarn, Spiegelkuppel
Foto: Ivo Faber