ausstellung

Guilty Pleasure, Mineral Treasure

17. August bis 06. Oktober 2024 ● Dortmund ● Künstlerhaus Dortmund

Die Umwelt befindet sich in ständigem Wandel, menschliches Handeln treibt diesen unaufhörlich an und schreibt sich tief in die Landschaft ein. Viele Regionen der Erde sind durch Rohstoffabbau und Industrialisierung geprägt, Extraktion schreibt die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts im Ruhrgebiet. Jetzt stehen die Zechen still und die Rohstoffausbeutung wird an Orten außerhalb Europas weitergeführt, um Versorgung, Konsum und technologischen Fortschritt im Westen sicherzustellen. Das eigene Verhältnis zum Verbrauch und seinen Auswirkungen wird so zusätzlich von seinen Ursprüngen abstrahiert. Natürliche Ressourcen werden knapper und ungerecht verteilt, der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt, der Klimawandel macht dank fortwährender Extraktion Regionen unbewohnbar und ein konstant wachsendes Gefühl der eigenen Ohnmacht kommt auf. 

Als eine Reaktion auf die Entfremdung von unserer Umwelt und allen Lebens, was mehr als menschlich ist, entwerfen die Künstler:innen der Ausstellung Praktiken und Denkspiele und laden auch zum aktiv werden ein, sich der Welt im Anthropozän aus neuer Perspektive zu nähern. Dabei nutzen sie VR, Video, Installation aber auch interaktive Games. Trotz der vielgestaltigen Ästhetiken haben die Installationen eines gemein, sie hinterfragen unsere gegenwärtige Verortung in der Welt und unsere Beziehung zur Natur auf eine spielerische Art und Weise.

„Matrix Vegetal“ kombiniert experimentelle Ethnobotanik, südamerikanisches Quantendenken, Traumfiktion und organische Verbindungstechnologien, um die Wahrnehmung zu erweitern und die Funktionsweise des pflanzlichen und spirituellen Universums besser zu verstehen. Ausgehend von botanischer Science-Fiction schlägt das Video eine Wiederherstellung der Kommunikation zwischen dem Menschlichen und dem Übermenschlichen vor. Es stellt Visionen, Lehren und Wege dar, die das Pflanzenuniversum liefert, und bietet eine poetische Perspektive der zeitgenössischen Existenz, die eng mit der Erde verwoben ist.
Die Videoinstallation ist eine künstlerische Interpretation der Erfahrungen von Patricia Domínguez, die bei Amador Aniceto, einem in Madre de Dios, Peru, lebenden Heiler, in die Lehre gegangen ist. Amador wurde von den Pflanzen als "Generalarzt der Flora und Fauna des Universums" für seine heilige, vielfältige und mystische Vision des Pflanzenuniversums geweiht.
Unter seiner Anleitung aktivierte die Künstlerin eine intime Verbindung zu lebendigem, organischem Wissen. So versuchte sie, sich vorübergehend von der digitalen Matrix zu lösen und stattdessen eine Verbindung mit der pflanzlichen Matrix herzustellen. Auf diese Weise stellte sie eine Verbindung mit einer Sprache her, die über das Menschliche hinausgeht und sich mit dem planetarischen Gedächtnis verbindet.
Domínguez greift mit einer Vielzahl von Medien auf Mythen, Symbole, Rituale und Heilpraktiken zurück und verbindet künstlerische Fantasie mit experimenteller Forschung zur Ethnobotanik. Sie arbeitet mit Aquarellen, Keramiken, skulpturalen Assemblagen und Videoinstallationen, um schreinähnliche Bilder zu schaffen, die aus einem visuellen Vokabular stammen, das von der Pflanzenwelt über Konsumgüter bis hin zu Wellness-Programmen von Unternehmen und der digitalen Welt reicht.

Der narrative Ausgangspunkt der Mixed-Reality-Installation „Night Companions“ ist das Verhalten von Mistkäfern, die sich am polarisierten Licht des Mondes oder - in mondlosen Nächten - an der Milchstraße orientieren, wenn sie nicht durch städtische Lichtverschmutzung oder Kommunikationssatelliten gestört werden. Wie gehen nicht-menschliche Akteure wie Mistkäfer mit diesen neuen Körpern am Himmel um? Sind sie unerklärliche Ereignisse? Verwirrende Elemente? Totems? Gottheiten?
Die Skulpturen der Installation erinnern an die Panzer von Mistkäfern, um die es auch in der VR-Arbeit geht. Auf einer Kugel sitzend, die den Mistkugeln ähnelt, die diese Käfer transportieren, navigieren Besucher:innen durch die Landschaft. Auf der Waldlichtung müssen sie Sternbilder ausfindig machen, die ihnen helfen, Kot zu finden, den sie ihrer Kugel hinzufügen können. Mit Hilfe eines VR-Trackers entscheiden sie zwischen polarisiertem natürlichem Licht und von Satelliten erzeugten Lichtreflexionen, um sich mittels Eye-Tracking durch eine virtuelle Erzählung zu bewegen. Fehler bei der Identifizierung der Konstellationen aktivieren die nach vorne gerichteten Kameras der VR-Brille und enthüllen den tatsächlichen Raum um die Besucher, während ein Kommunikationssatellit sie mit maschinenähnlichen Ausdrücken anspricht. In „Night Companions“ verknüpft Nieves de la Fuente Gutiérrez reale räumliche und virtuelle Erfahrungen menschlicher und nicht-menschlicher Perspektiven in einem spekulativen Versuch, Störungen in tierischen Navigationssystemen und einen Aufruf zur Empathie anzusprechen.

Die Gartenbeete binden den vom laufenden Server produzierten CO2-Ausstoß. Die einzige auf dem Server gehostete Website, https://tendergarden.io, berechnet und protokolliert in Echtzeit die CO2-Bilanz zwischen Garten und Server. Ausstoß und Bindung geschehen aber in radikal unterschiedlichen Zeitlichkeiten.
Die in den letzten Jahrzehnten entstandene CO2-Wirtschaft versucht eine Methodik zu erfinden, um die wirtschaftliche Produktion mit deren biochemischen Auswirkung auf die Umwelt zu verbinden. Die Arbeit inszeniert solche Konversionen zwischen Daten, Energie, Kohlenstoff und biochemischer Arbeit und wirft dadurch Fragen zu aktuellen CO2-Berechnungsmodellen auf. In der Arbeit materialisiert sich der ökologische Fußabdruck der digitalen Wirtschaft. In weiterem Sinne stellt tendergarden.io die Wirksamkeit der Logik von Finanzprodukten im Bezug auf CO2 Politik in Frage.
Marina Resende Santos ist Künstlerin und Forscherin. In ihrer Arbeit befasst sie sich in Interventionen im öffentlichen Raum und forschungsbasierten Projekten mit Fragen der Handlungsfähigkeit, Technologie und Ökologie im urbanen Raum. 
Der Künstler und Autor Graham Livingston beschäftigt sich mit den komplexen Überschneidungen zwischen der digitalen und der physischen Welt. Er untersucht, wie unsere Wahrnehmung von Objekten, Umgebungen und Menschen durch ihre digitalen Repräsentationen geprägt wird. Durch seine transmediale Praxis, die Objekte, Installationen und Performances umfasst, schafft Livingston vielschichtige Perspektiven auf seine Themen, die räumliche, physische und digitale Plattformen umfassen. In seinen jüngsten Arbeiten hat er sich mit Themen wie computergestützter Periskopie, städtischen Bildschirmökologien und der Geografie des Internets beschäftigt. Jedes Projekt unterstreicht die allgegenwärtige und sich entwickelnde Natur der Digitalität in unserer heutigen Welt.

kh-do.de


Bildunterschriften und /-nachweise:

1. Patricia Dominguez, Matrix Vegetal, Video 4K, 21:12 Min, 2021/22

2. Nieves de la Fuente, Night Companions, VR-Installation, 2023

3. Marina Resende Santos & Graham Livingston, tendergarden.io, Installation, 2022