ausstellung
Melanie Loureiro. Die Verbundenheit der Kreaturen
Bis 09. Juni 2025 ● Düsseldorf ● KIT – Kunst im Tunnel
In der Serie „Das Leben auf unserem Planeten“ werden vier Milliarden Jahre Erdgeschichte bildgewaltig und untermalt mit dramatischem Sound dargestellt. Die sonore Stimme von Morgan Freeman trägt uns von Zerstörung zu Neuanfang zum nächsten Aussterbeereignis durch einen hunderte von Millionen Jahre währenden Überlebenskampf von Flora und Fauna. Dieser ewige Kreislauf wird mittels fotorealistischer Animationen im Disney-Stil illustriert, doch im inneren Bilderspeicher bleibt am Ende einzig das Überleben der Pflanzen haften: Diesen „Lichtessern“ ist es gelungen, nach jeder Warm- oder Eiszeit wieder der Sonne entgegenzuwachsen, den ganzen Planeten erneut zu begrünen und somit unsere Existenz zu ermöglichen. Sie sind untrennbar mit unserem Leben verbunden und verwoben, von der Wurzel bis zum Blatt, zur Blüte, zur Frucht.
Langsam, stetig, wunderbar lebendig breiteten sich Pflanzen immer wieder aus. Überall auf der Welt bieten sie uns ein Feld auf dem wir, oft schon als Kinder, das Wachsen und Vergehen erforschen und das Leben von Raupen, Schmetterlingen, Käfern und Ameisen beobachten können. Pflanzen und Insekten bilden eine Gemeinschaft, in der Insekten Blüten bestäuben und für die Fortpflanzung sorgen, während die Pflanze den Insekten als Nahrungsquelle dient. Doch nicht alle Insekten und Pflanzen sind Teil dieser idyllischen Symbiose: Gegen allzu gierige Fressfeinde entwickeln die Pflanzen Bitterstoffe und Gifte oder sie locken die Räuber ihrer Fressfeinde mit speziellen Duftstoffen. Geduldiges Hinschauen lohnt sich also. Denn dann offenbart sich uns die geheimnisvolle Lebendigkeit der beseelten Natur, als würden wir durch ein Vergrößerungsglas sehen.
Melanie Loureiro ist eine geduldige, an den Prozessen der Natur und den Ursachen ihrer Bedrohung hochinteressierte Beobachterin. Vor allem aber ist sie Künstlerin, eine Malerin, die eine Faszination für die Gesamtheit der Wechselwirkungen zwischen Flora, Fauna, Umwelt und Mensch hegt. Als Feldforscherin zu allen Jahreszeiten in den heimischen Gärten und Parks unterwegs, lässt sie sich von saisonalen Entdeckungen inspirieren, die sie dann in einem intensiven künstlerischen Prozess in Bilder verwandelt. Dabei folgt sie teils der Realität, teils arrangiert sie ihre Motive frei in einem Szenario, das ihrer Fantasie und Inspiration entspringt. Das Ergebnis ist eine Vielzahl von motivischen und malerischen Eingriffen. Bei täglicher Atelierarbeit kann die Fertigstellung eines Bildes bis zu sechs Monate dauern.
Für die Ausstellung „Die Verbundenheit der Kreaturen“ schuf Melanie Loureiro im vergangenen Jahr neue Werke von vibrierender Energie, für deren Betrachtung wir keine Vergrößerungsgläser brauchen. Die Künstlerin hat gefräßige Raupen, zauberhafte Schmetterlinge oder mondbeschienene Nachtfalter gemalt, beklebt, mit Farbe bestäubt und mit dem Skalpell bearbeitet, bis sie übergroß und in satten Farben den Bildraum beherrschen und uns ein einzigartiges Seherlebnis bescheren. Sonnenblumen, auf denen sich Marienkäfer tummeln, drei Ameisen, die sich an einer Walderdbeere laben – das Getier auf diesen Bildern ist naturalistisch und doch abstrakt, ist seiner natürlichen Zierlichkeit enthoben. Das uns vertraute Größenverhältnis verschiebt sich: Wir betrachten die Malereien durch die Augen der dargestellten Insekten. Plötzlich erscheint die Dimension der dargestellten Alltagsszenen nicht mehr mikroskopisch klein, sondern groß und nah. Kleinere Flächen auf der Leinwand erinnern dagegen an Miniaturlandschaften: ein winziger Hügel unter weitem Himmel erhebt sich zwischen Gemüseblättern. Manche Farbflächen lassen an Airbrush-Technik denken, scharfe Kanten und Vertiefungen an geschnitzte Reliefs. Je nach Blickwinkel wirken die Sujets dreidimensional, mitunter wie in Bewegung.
Und hörten wir nur genau hin, würden wir die leisen Fressgeräusche der Raupe vernehmen und vielleicht sogar die aufgeregte Reaktion des Kohlkopfes, der sich gegen den Angriff zur Wehr setzt. Die kriegerische Sprache kommt hier nicht von ungefähr. Denn bei der Auswahl der Motive fokussiert Loureiro auf ausgestorbene oder vom Aussterben bedrohte Arten, auf den Klimawandel und seine Folgen für das Öko-System. Die narrativen, von Wissenschaft und Mystik gleichermaßen beeinflussten Titel ihrer Werke laden dazu ein, über die komplexen und oft unsichtbaren Beziehungen in der Natur nachzudenken – sei es die Kommunikation der Pflanzen, die Rhythmen der Tiere oder die Transformationsprozesse, die uns alle betreffen. Indem die Künstlerin Kleinstlebewesen und Alltagspflanzen ein malerisches Denkmal setzt, mahnt sie wortlos die Zustände an, die das Zeitalter des Anthropozäns mit sich bringt. Der Mensch als vermeintlich wichtigster Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde sieht dem „Verstummen“ derselben zu (Dave Goulson). Diese Dystopie gilt es zu verhindern. Es scheint, als wolle Melanie Loureiro den Insekten und Pflanzen durch ihre Bilder eine magische Kraft verleihen, als wolle sie ihnen Mut machen, sich gegen Pestizide, Monokulturen und Lichtverschmutzung zu wehren.
Für den Eingangsbereich des KIT hat Melanie Loureiro gemeinsam mit der Künstlerin Klara Landwehr einen Garten entworfen, der, angepasst an die Gegebenheiten des unterirdischen Raums, die Möglichkeit bietet, im Grünen zu sitzen, in ausgewählter Natur-Literatur zu schmökern und einfach mal durchzuatmen. Hier können wir uns auf Loureiros Bilder einstimmen oder unseren Besuch nachwirken lassen.
Bildunterschriften und /-nachweise:
1. Melanie Loureiro "Seven Dots of Plenty" 2024, 160 x 190 cm, Öl auf Leinwand © Foto: Ivo Faber
2. Melanie Loureiro "Lacrimarium" 2024, 88 x 66 cm, Öl auf Leinwand © Foto: Ivo Faber
3. Melanie Loureiro "Invocation of the Splintered Skin" 2024, 160 x 190 cm, Öl auf Leinwand © Foto: Ivo Faber
4. Melanie Loureiro "Where Hummed Intentions Drift, Ancient Bonds persist" 2024, 160 x 190 cm, Öl auf Leinwand © Foto: Ivo Faber